Entwurf der Gruppe Castellucci geändert
Der Bundestag will am Donnerstag, 6. Juli 2023, über eine Neuregelung der Suizidhilfe entscheiden. Zur Abstimmung stehen nunmehr zwei Gesetzentwürfe von fraktionsübergreifenden Gruppen, die heute den Rechtsausschuss passierten. Zwei der ursprünglich drei Entwürfe – den Entwurf der Gruppe um die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr (20/2332) und den Entwurf der Gruppe um die Abgeordnete Renate Künast (20/2293) – legte der Ausschuss auf Antrag der beiden Gruppen zusammen (siehe separate Meldung). Der dritte Entwurf einer Gruppe um den Abgeordneten Lars Castellucci (20/904) passierte das Gremium in geänderter Fassung.
Beide Entwürfe eint, dass mit ihnen Voraussetzungen geschaffen werden sollen, unter denen Suizidwillige Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten erhalten können. Dazu sind unter anderem Änderungen im Betäubungsmittelgesetz vorgesehen. Beide Entwürfe sehen zudem eine Regulierung der Werbung für Hilfe zur Selbsttötung im Heilmittelwerbegesetz sowie jeweils eine Evaluierung vor.
Der Castellucci-Entwurf strebt eine Regelung im Strafgesetzbuch an, die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe stellt – und Ausnahmen normiert, unter denen Förderungshandlungen nicht rechtswidrig sind.
Der Entwurf der Gruppe Helling-Plahr/Künast sieht im Kern ein neues Suizidhilfegesetz vor, dass das Recht auf Hilfe zur Selbsttötung und auf Unterstützung von suizidwilligen Personen normiert. Wesentliche Unterschiede der Entwürfe betreffen die Form der notwendigen Untersuchungen beziehungsweise Beratung als Voraussetzung für die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments sowie Warte- und Höchstfristen für Untersuchungs- und Beratungstermine sowie die Verschreibung des Medikaments. Beide Entwürfe sehen unter bestimmten Voraussetzungen Härtefallregelungen vor.
Hintergrund der avisierten Neuregelung ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15). Das Gericht hatte das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt und betont, dass die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, – als Ausdruck des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben – auch die Freiheit umfasse, „hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen“.
Entwurf der Gruppe Castellucci
Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf nahm der Ausschuss auf Antrag der Gruppe Castellucci einige Änderungen an dem Entwurf an. Unter anderem soll durch Ergänzungen im Elften Sozialgesetzbuch sowie im Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz sichergestellt werden, dass „Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens grundsätzlich nicht verpflichtet sind, an einer Selbsttötung mitzuwirken oder die Durchführung von Förderungshandlungen zur Selbsttötung in ihren Räumlichkeiten zu dulden“, wie es in dem Änderungsantrag heißt. Entsprechende Forderungen hatten Vertreter aus der Hospizbewegung in der Sachverständigenanhörung geäußert. Gestrichen wurde das ursprünglich im Strafgesetzbuch vorgesehene Werbeverbot für die Hilfe zur Selbsttötung.
Grundsätzlich sieht der Entwurf einen neuen Paragrafen 217 Strafgesetzbuch vor, nach dem die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird. Nicht rechtswidrig ist die Förderungshandlung demnach, wenn der volljährige und einsichtsfähige Suizidwillige mindestens zwei Untersuchungstermine sowie mindestens ein Beratungsgespräch absolviert hat.
Die Untersuchung hat demnach zum Ziel, festzustellen, dass „keine die autonome Entscheidungsfindung beeinträchtigende psychische Erkrankung vorliegt und nach fachlicher Überzeugung das Sterbeverlangen freiwilliger, ernsthafter und dauerhafter Natur ist“. Dafür sollen in der Regel mindestens zwei Termine mit einem Mindestabstand von drei Monaten vorausgesetzt werden. Die Untersuchung soll von einer Fachärztin beziehungsweise einem Facharzt der Fachrichtungen Psychiatrie oder Psychotherapie oder einer Person mit psychotherapeutischer Qualifikation, die jeweils nicht an der Selbsttötung beteiligt sind, vorgenommen werden. Gegenüber dem ursprünglichen Entwurf wurde mit dem Änderungsantrag der Kreis um Psychotherapeuten beziehungsweise Psychotherapeutinnen erweitert.
Die untersuchende Person soll laut Entwurf auch Maßgaben für mindestens ein „individuell angepasstes, umfassendes und ergebnisoffenes Beratungsgespräch“ entwickeln. Dieses Beratungsgespräch „mit einem multiprofessionellen und interdisziplinären Ansatz bei einem weiteren Arzt oder einer weiteren Ärztin, einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin, einer psychosozialen Beratungsstelle, einer Suchtberatung oder einer Schuldenberatung“ soll vor der abschließenden Untersuchung stattfinden. Das Gespräch soll laut Entwurf unter anderem eine „Aufklärung über den mentalen und physischen Zustand“, „Möglichkeiten der medizinischen Behandlung und Alternativen zur Selbsttötung“ sowie „mögliche psychologische und physische Auswirkungen eines fehlgeschlagenen Selbsttötungsversuchs sowie soziale Folgen einer durchgeführten Selbsttötung“ umfassen.
Nach Abschluss der Untersuchung- und Beratungsphase soll laut Entwurf vor der Selbsttötung eine Wartefrist von zwei Wochen eingehalten werden. Die Selbsttötung muss laut Entwurf innerhalb von zwei Monaten „nach der letzten psychiatrischen oder psychotherapeutischen Untersuchung“ erfolgen. Die Möglichkeit zur Verschreibung tödlich wirkender Medikamente soll Ärztinnen und Ärzten über eine Änderung im Betäubungsmittelgesetz eingeräumt werden.
Der Entwurf sieht Ausnahmen von den mindestens zwei Untersuchungen für den Fall vor, dass die untersuchende Person zu dem Schluss kommt, dass dies für die suizidwillige Person „nicht zumutbar“ ist, „insbesondere bei Vorliegen einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung bei einer zugleich begrenzten Lebenserwartung, und von einer weiteren Untersuchung offensichtlich keine weitere Erkenntnis zur Freiwilligkeit, Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des Sterbeverlangens zu erwarten ist“. In diesem Fall soll ein Untersuchungstermin ausreichen.
Der Entwurf wird unter anderem von Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU), Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), Petra Pau (Die Linke) und Benjamin Strasser (FDP) unterstützt. Insgesamt haben laut Drucksache 111 Abgeordnete aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD den Entwurf mitgezeichnet.
Neuer Gesetzentwurf Helling-Plahr/Künast
Der Bundestag will am Donnerstag, 6. Juli 2023, über eine Neuregelung der Suizidhilfe entscheiden. Zur Abstimmung stehen nunmehr zwei Gesetzentwürfe von fraktionsübergreifenden Gruppen, die heute den Rechtsausschuss passierten. Zwei der ursprünglich drei Entwürfe – den Entwurf der Gruppe um die Abgeordnete Katrin Helling-Plahr (20/2332) und den Entwurf der Gruppe um die Abgeordnete Renate Künast (20/2293) – legte der Ausschuss auf Antrag der beiden Gruppen zusammen. Der dritte Entwurf einer Gruppe um den Abgeordneten Lars Castellucci (20/904) passierte das Gremium in geänderter Fassung (siehe separate Meldung).
Beide Entwürfe eint, dass mit ihnen Voraussetzungen geschaffen werden sollen, unter denen Suizidwillige Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten erhalten können. Dazu sind unter anderem Änderungen im Betäubungsmittelgesetz vorgesehen. Beide Entwürfe sehen zudem eine Regulierung der Werbung für Hilfe zur Selbsttötung im Heilmittelwerbegesetz sowie jeweils eine Evaluierung vor.
Der Castellucci-Entwurf strebt eine Regelung im Strafgesetzbuch an, die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe stellt – und Ausnahmen normiert, unter denen Förderungshandlungen nicht rechtswidrig sind.
Der Entwurf der Gruppe Helling-Plahr/Künast sieht im Kern ein neues Suizidhilfegesetz vor, dass das Recht auf Hilfe zur Selbsttötung und auf Unterstützung von suizidwilligen Personen normiert. Wesentliche Unterschiede der Entwürfe betreffen die Form der notwendigen Untersuchungen beziehungsweise Beratung als Voraussetzung für die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments sowie Warte- und Höchstfristen für Untersuchungs- und Beratungstermine sowie die Verschreibung des Medikaments. Beide Entwürfe sehen unter bestimmten Voraussetzungen Härtefallregelungen vor.
Hintergrund der avisierten Neuregelung ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 (2 BvR 2347/15). Das Gericht hatte das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt und betont, dass die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, – als Ausdruck des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben – auch die Freiheit umfasse, „hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen“.
Entwurf der Gruppe Helling-Plahr/Künast im Detail
Der Entwurf der Gruppe Helling-Plahr/Künast sieht als Kern ein neues „Gesetz zum Schutz des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben und zur Regelung der Hilfe zur Selbsttötung“ (Suzidhilfegesetz) vor. Danach soll mit diesem Gesetz normiert werden, dass „jeder, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben eigenhändig beenden möchte“, das Recht hat, „hierbei Hilfe in Anspruch zu nehmen“. Zudem soll auch das „Recht auf Hilfeleistung“ festgeschrieben werden. Die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments durch einen Arzt oder eine Ärztin setzt laut Entwurf grundsätzlich eine Beratung voraus. Zudem ist eine Härtefallregelung vorgesehen und eine Regelung, die eine Abgabe ohne Verschreibung durch einen Arzt oder eine Ärztin vorsieht.
Eine Pflicht zur Hilfe zur Selbsttötung soll laut Entwurf ausgeschlossen werden, ebenso soll es nicht möglich sein, einer Person „aufgrund ihrer Berufszugehörigkeit“ die Mitwirkung beziehungsweise die Nicht-Mitwirkung an der Hilfe zur Selbsttötung zu untersagen.
Laut Entwurf soll das Gesetz „eine autonome und vollinformierte Entscheidungsfindung suizidwilliger Personen sicherstellen“. Wesentlich zur Feststellung des autonom gebildeten, freien Willens ist eine Beratung. Laut Entwurf soll ein Recht, „sich zu Fragen der Hilfe zur Selbsttötung beraten zu lassen“, festgeschrieben werden. Die Beratung ist demnach „ergebnisoffen zu führen, darf nicht bevormunden und muss vom Grundwert jedes Menschenlebens ausgehen“. In der Beratung sollen „die für eine Entscheidung für oder gegen eine Selbsttötung erheblichen Gesichtspunkte“ vermittelt werden, unter anderem „die Bedeutung und die Tragweite der Selbsttötung“, Handlungsalternativen sowie „die Folgen einer Selbsttötung und eines fehlgeschlagenen Selbsttötungsversuches auch für das nähere persönliche und familiäre Umfeld“. Zu der Beratungen können demnach im Einvernehmen weitere Personen, beispielsweise Ärztinnen oder Psychologen, hinzugezogen werden. Keine Beratung soll laut Entwurf von einer Person vorgenommen werden dürfen, „die an einer späteren Hilfe zur Selbsttötung beteiligt ist“.
Der Entwurf sieht vor, dass die Länder für ein ausreichendes Angebot an Beratungsstellen Sorge zu tragen haben. Beratungsstellen bedürfen demnach einer staatlichen Anerkennung, auch freie Träger und Ärztinnen und Ärzte sollen anerkennungsfähig sein. Zu den Anerkennungsvoraussetzungen soll unter anderem zählen, dass die Beratungsstelle über „hinreichend persönlich und fachlich qualifiziertes und der Zahl nach ausreichendes Personal verfügt“. Ferner soll eine Beratungsstelle „mit keiner Einrichtung, in der Hilfe zur Selbsttötung geleistet wird, derart organisatorisch oder durch wirtschaftliche Interessen verbunden“ sein, „dass hiernach ein materielles Interesse der Beratungseinrichtung an der Durchführung von Hilfe zur Selbsttötung nicht auszuschließen ist“. Für einen Übergangszeitraum – längsten bis zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes – soll jeder Arzt oder Ärztin eine Beratung ohne Anerkennung vornehmen dürfen.
Die Verschreibung eines tödlich wirkenden Medikaments durch einen Arzt oder eine Ärztin setzt laut Entwurf eine Beratung in einer anerkannten Beratungsstelle voraus, zudem soll der verschreibende Arzt oder die Ärztin verpflichtet sein, „die suizidwillige Person mündlich und in verständlicher Form über sämtliche für die Selbsttötung wesentlichen medizinischen Umstände aufzuklären“. Bei erkrankten suizidwilligen Personen ist zudem „auch auf Behandlungsmöglichkeiten und Möglichkeiten der Palliativmedizin hinzuweisen“. Die Verschreibung soll dann möglich sein, wenn die suizidwillige Person sich höchsten zwölf Wochen und mindestens drei Wochen vorher hat beraten lassen.
Der Entwurf sieht zudem eine Härtefallregelung vor, die Ärztinnen und Ärzten ermöglicht, auf die Vorlage einer Beratungsbescheinigung in besonderen Härtefällen zu verzichten. Diese Einschätzung soll laut Entwurf von einer weiteren Ärztin oder Arzt bestätigt werden müssen.
Zudem sieht der Entwurf vor, dass in Ausnahmefällen auch eine nach Landesrecht zuständig Stelle einer suizidwilligen Person „eine einer ärztlichen Verschreibung gleichstehende Erlaubnis zum Erwerb eines Arznei- oder Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung“ erteilen muss, wenn die Voraussetzungen für die ärztliche Verschreibung vorliegen und die suizidwillige Person glaubhaft macht, dass eine ärztliche Verschreibung „nicht in zumutbarer Weise zu erlangen ist“.
In einem Nebenaspekt sieht der Entwurf eine strafrechtliche Regelung vor. Die strafbare Verletzung von Privatgeheimnissen (Paragraf 203 Strafgesetzbuch) soll auch im Kontext der im Entwurf vorgesehen Beratungsstellen einschlägig sein.
Die Zusammenlegung der Entwürfe wird laut einer im Ausschuss vorgelegten Unterstützungsliste von 166 Abgeordneten aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD unterstützt. Darunter sind unter anderem Katrin Helling-Plahr (FDP), Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen), Helge Lindh (SPD) und Petra Sitte (Die Linke).
(c) HiB Nr. 516 vom 05.07.2023