Die 31. Kammer für Handelssachen unter dem Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. Schumann hat ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Stuttgarter Straßenbahnen AG (nachfolgend „SSB“) zur Zahlung von Schadensersatz an die Gesellschaft in sechsstelliger Höhe verurteilt (31 O 78/20 KfH). Der Streitwert wurde auf über 1,9 Mio. Euro festgesetzt.
Gegenstand des Verfahrens
Der Beklagte gehörte bis 2015 dem Vorstand der SSB an und war lange Jahre ihr Arbeitsdirektor. Rechtsgutachten, die von seiner Nachfolgerin eingeholt wurden, ergaben, dass jahrelang überhöhte Vergütungen an Betriebsratsmitglieder bezahlt worden seien. Es ging dabei u.a. um nicht gesetzeskonforme Höhergruppierungen, um die Gewährung von Zulagen, um Sitzungsgelder und pauschale Aufwandsentschädigungen.
2016 stellte die SSB diese Praxis ein, nahm Rückgruppierungen vor und führte mit Erfolg zahlreiche arbeitsgerichtliche Prozesse. Mit der vorliegenden Klage vor der 31. Kammer für Handelssachen macht die SSB Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten geltend, die damit begründet werden, dass dieser seine Pflichten als Vorstand verletzt habe.
Der Streitwert belief sich auf über 1,9 Mio. EUR.
Streit bestand insbesondere über das Vorliegen einer Pflichtverletzung, über die Verjährung und die Schadenshöhe. Während der Beklagte der Meinung war, bei nahezu sämtlichen geltend gemachten Ansprüchen sei die fünfjährige Verjährungsfrist bereits abgelaufen, vertrat die Klägerin die Auffassung, es sei noch keine Verjährung eingetreten. Auch die Reichweite der vom Beklagten abgegebenen Verjährungsverzichtserklärungen war zuletzt umstritten. Die Kammer unternahm mehrere Versuche einer gütlichen Einigung, die jedoch letztlich scheiterten.
Die Kammer verurteilte den Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von über 580.000 Euro. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Wesentliche Erwägungen der Kammer
In dem ausführlich begründeten Urteil wies die Kammer auf die sogenannte Legalitätspflicht hin, der Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft unterliegen, und führte u.a. aus, dass der Vorstand in Bezug auf die Vergütung von Betriebsratsmitgliedern gesetzliche Vorgaben beachten muss: Einerseits führen Betriebsratsmitglieder ihr Amt gemäß § 37 Abs. 1 BetrVG unentgeltlich aus und ihr Arbeitsentgelt darf nach § 37 Abs. 4 BetrVG nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Andererseits verbietet § 78 Satz 2 BetrVG sowohl die Begünstigung als auch die Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern wegen ihrer Betriebsratstätigkeit. Ein Anspruch auf Erhöhung des Entgelts steht ihnen grundsätzlich nur in dem Umfang zu, in dem das Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung steigt. Zusatzvergütung für die Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit darf der Arbeitgeber nicht gewähren. Diese Grundsätze sah die Kammer verletzt.
Die Kammer führte aus, dass eine Haftung von Vorstandsmitgliedern gem. § 93 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AktG auf Schadensersatz in diesem Zusammenhang sowohl an positives Tun als auch an pflichtwidriges Unterlassen (nämlich: der Korrektur einer gesetzwidrig zu hohen Betriebsratsvergütung) anknüpfen könne. Selbst wenn der Vorstand über die Höhergruppierung oder die Gewährung von Zulagen oder sonstigen Vergütungsbestandteilen an Betriebsratsmitglieder nicht selbst entscheide, müsse er durch Einrichtung eines entsprechenden Compliance-Systems und dessen Überwachung unternehmensintern dafür sorgen, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Vergütung von Betriebsratsmitgliedern eingehalten werden. Er sei für die Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände verantwortlich. Die tatsächliche Vergütungspraxis habe teilweise nicht einmal im Einklang mit dem vom Vorstand beschlossenen „Grundsätzepapier“ gestanden. Dem Unterlassensvorwurf komme auch verjährungsrechtlich entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten eigenständige Bedeutung zu.
Nach Auffassung der Kammer kann bei der Frage, wann in Bezug auf den Unterlassensvorwurf jeweils der erste Schaden eingetreten war, nicht pauschal an den Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Vorstandsamt angeknüpft werden. Es komme vielmehr bezüglich des Unterlassensvorwurfs auf den Zeitpunkt an, zu dem eine Korrektur der früher getroffenen Vergütungsentscheidung letztmals nachgeholt werden kann, um die jeweilige Zahlung noch zu verhindern. Insbesondere vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des teils eingeholten anwaltlichen Rats erzielte die SSB erstinstanzlich nur einen Teilerfolg.
(c) LG Stuttgart, 30.06.2023