Die Große Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München II hat heute nach 172 Verhandlungstagen und einer Verfahrensdauer von 2 Jahren 9 Monaten das Urteil im sog. AUDI-Verfahren verkündet.
Die Angeklagten Wolfgang H. und Giovanni P. wurden wegen Betrugs in 94.924 tateinheitlichen Fällen, der Angeklagte Rupert S. wegen Betrugs in 17.177 tateinheitlichen Fällen zu Freiheitsstrafen zwischen 1 Jahr 9 Monaten (P. und S.) und 2 Jahren (H.) verurteilt, deren Vollstreckung jeweils zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Gericht ordnete als Bewährungsauflagen die Zahlungen von 50.000 € (P.), 400.000 € (H.) und 1,1 Millionen € (S.) an gemeinnützigeEinrichtungen wie etwa den Naturschutzfonds Bayern und die Staatskasse an.
Das Gericht zeigte sich davon überzeugt, dass bei bestimmten Motorentypen des PKW-Herstellers AUDI eine unzulässige Abschalteinrichtung eingesetzt wurde. Die Angeklagten P und H hätten die Ausgestaltung der Motorsteuerungssoftware veranlasst und hätten dabei erkannt und hingenommen, dass Fahrzeuge mit einer Software zur Steuerung des Emissionskontrollsystems unter Verstoß gegen Rechtsvorschriften der Europäischen Union ausgestattet würden. Auch Motoren von in die USA exportierten PKW hätten unzulässige Abschalteinrichtungen aufgewiesen. Der Angeklagte S. habe dies – so die Kammer – nachdem er davon Kenntnis erlangte nicht verhindert, obwohl er als Vorstandsvorsitzender zu einem Eingreifen verpflichtet gewesen wäre.
Beim Verkauf der PKW seien die abnehmenden Großhändler über entscheidende Eigenschaften getäuscht worden, hätten sich dementsprechend geirrt und hätten daraufhin in gutem Glauben die jeweiligen Bestellungen vorgenommen. Der für die Betrugsstrafbarkeit erforderliche Schaden sah das Gericht bei den in Deutschland verkauften Fahrzeugen in einem Minderwert der mit einer Abschaltvorrichtung versehenen PKW an, den es mit 5 % vom Neupreis ansetzte. Bei den in die USA ausgeführten Fahrzeugen sei der Wert der PKW mit dem Schrottwert anzusetzen, da die Fahrzeuge dort gar nicht hätten verkauft werden dürfen.
Auf dieser Grundlage ging das Gericht unter dem Vorsitz von Stefan Weickert bei den Angeklagten P und H von einem Schaden von insgesamt rund 2,3 Milliarden Euro aus. Bei dem Angeklagten S nahm das Gericht einen Schaden von rund 41 Millionen Euro an. Das Gericht stellte dabei heraus, dass ein erheblicher Teil des Schadens innerhalb des AUDI-Konzerns entstanden sei.
Dem Urteil ging für zwei Angeklagte eine Verständigung voraus. Alle drei Angeklagten hatten den Tatvorwurf vollumfänglich eingeräumt. Diese Geständnisse deckten sich mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Das Gericht stützte sich dabei neben Aussagen von rund 190 Zeugen, mehrere umfangreiche Sachverständigengutachten sowie eine Vielzahl von ausgewerteten Urkunden. Darunter fanden sich zahlreiche E-Mails mit belastendem Inhalt wie etwa „Meine Einschätzung: Ganz ohne „Bescheißen“ werden wir es nicht schaffen“.
Zugunsten der Angeklagten wertete das Gericht insbesondere, dass die Angeklagten keinen eigennützigen, sondern einen fremdnützigen Betrug zugunsten des Konzerns begangen hätten. Dem Angeklagten P. hielt das Gericht zugute, dass dieser sich sehr früh geständig eingelassen habe und wertete dies als Aufklärungshilfe, die sich besonders strafmildernd auswirke. Aber auch die vergleichsweise späten Geständnisse der beiden anderen Angeklagten wertete das Gericht positiv. Ohne die Geständnisse sei die Beweislage hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen der Strafbarkeit zwar nicht dünn – wie von einem Verteidiger in seinem Schlussvortrag behauptet – aber doch äußerst komplex gewesen. Zudem habe Rupert S. mit seinem Geständnis als erster Vorstandsvorsitzender eines deutschen Automobilherstellers Verantwortung für sein Fehlverhalten übernommen und einen Betrug eingeräumt. Das Gericht geht davon aus, dass alle Geständnisse – auch – von Reue und Schuldeinsicht geprägt gewesen sind. Zu Lasten der Angeklagten berücksichtigte die Kammer bei den Angeklagten H und P den immensen – wenngleich „nur“ auf Konzernebene eingetretenen – Schaden. Die Kammer berücksichtigte auch den umweltschädigenden Aspekt der Taten, durch die ein erheblicher Stickoxid-Ausstoß verursacht worden sei.
Da alle drei – nicht vorbestraften – Angeklagten eine positive Kriminalprognose aufwiesen und mit den Geständnissen sowie der erlittenen Untersuchungshaft auch jeweils besondere Umstände vorlägen, setzte das Gericht die Strafen zur Bewährung aus. Vor dem Hintergrund der erlittenen Untersuchungshaft sei auch aus generalpräventiven Erwägungen keine Vollstreckung der Strafe erforderlich. Die Bewährungszeit beträgt jeweils drei Jahre. Den Angeklagten wurde zudem auferlegt, Geldzahlungen an die Staatskasse und an gemeinnützige Einrichtungen zu leisten. Die Geldauflagen seien als zusätzliche Genugtuung für das erlittene Unrecht anzusehen und orientierten sich an den aktuellen Einkommensverhältnissen der Angeklagten.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft München II steht trotz der mit zwei Angeklagten getroffenen Verständigung das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen, das binnen einer Woche ab heute eingelegt werden müsste.
(c) LG München I, 27.06.2023