Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn ist nicht verpflichtet, schwerkranken Menschen, die den Entschluss zum Suizid gefasst haben, hierfür den Erwerb des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital zu erlauben. Das hat das Oberverwaltungsgericht heute in drei Verfahren entschieden und damit Urteile des Verwaltungsgerichts Köln bestätigt.
Die Kläger – zwei Männer aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen und eine Frau aus Baden-Württemberg – leiden an verschiedenen schwerwiegenden Erkrankungen (u. a. Multiple Sklerose, Krebs). Sie verlangen vom BfArM, ihnen jeweils eine Erlaubnis zum Erwerb von 15 Gramm Natrium-Pentobarbital zu erteilen, um mithilfe dieses Betäubungsmittels ihr Leben zu beenden.
Zur Begründung der Urteile hat die Vorsitzende des 9. Senats ausgeführt:
Der Erteilung der begehrten Erlaubnis steht der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) entgegen. Eine Erwerbserlaubnis, die auf eine Nutzung von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung gerichtet ist, dient nicht dazu, die notwendige medizinische Versorgung sicherzustellen. Das ist bei Anwendungen eines Betäubungsmittels nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur der Fall, wenn diese eine therapeutische Zielrichtung haben, also dazu dienen, Krankheiten oder krankhafte Beschwerden zu heilen oder zu lindern. Grundrechte von Suizidwilligen werden durch diese Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes derzeit nicht verletzt. Der mittelbare Eingriff in das Recht auf selbstbestimmtes Sterben ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Der Versagungsgrund schützt das legitime öffentliche Interesse der Suizidprävention und dient der staatlichen Schutzpflicht für das Leben. Diese Schutzpflicht kann gegenüber dem Freiheitsrecht des Einzelnen den Vorrang erhalten, wo die Selbstbestimmung über das eigene Leben gefährdet ist. Vorkehrungen, die eine selbstbestimmte Entscheidung des Suizidenten gewährleisten, sieht das Betäubungsmittelgesetz nicht vor. Sie können auch nicht in das Gesetz hineingelesen werden. Ob ein Zugang zu Natrium-Pentobarbital zur Selbsttötung ermöglicht werden soll, muss der demokratisch legitimierte Gesetzgeber entscheiden, der dann auch ein diesbezügliches Schutzkonzept entwickeln müsste. Die Fragen, welche Anforderungen an den freien Willen, die Dauerhaftigkeit des Selbsttötungsentschlusses oder die Information über Handlungsalternativen zu stellen wären und wie Miss- oder Fehlgebrauch verhindert werden könnte, müssen gesetzlich beantwortet werden.
Die Beschränkung Suizidwilliger durch § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG führt nicht dazu, dass sie ihr Recht auf Selbsttötung nicht wahrnehmen können. Nach aktueller Rechtslage ist vielmehr ein zumutbarer Zugang zu freiwillig bereitgestellter Suizidhilfe real eröffnet. Infolge des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 (zur Verfassungswidrigkeit des in § 217 StGB geregelten Verbots der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung) hat sich die Möglichkeit, den Wunsch nach selbstbestimmtem Sterben zu verwirklichen, wesentlich verbessert. Das ärztliche Berufsrecht steht der Suizidhilfe nicht mehr generell entgegen. Es gibt Ärzte, die tödlich wirkende Arzneimittel verschreiben und andere Unterstützungshandlungen vornehmen. Dabei ist es zumutbar, die Suche auf ein Gebiet jenseits des eigenen Wohnorts oder Bundeslands zu erstrecken. Infolge der Nichtigkeit des § 217 StGB sind auch geschäftsmäßige Angebote der Suizidhilfe wieder verfügbar. Die Inanspruchnahme der Hilfe eines Arztes oder einer Sterbehilfeorganisation ist auch zumutbar. Das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben beinhaltet keinen Leistungsanspruch gegenüber dem Staat. Soweit Ärzte und Sterbehilfeorganisationen in Deutschland bisher wohl nicht Natrium-Pentobarbital als Mittel zur Selbsttötung einsetzen, stehen andere verschreibungspflichtige Arzneimittel zur Verfügung.
Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.
Quelle: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Pressemitteilung vom 2. Februar 2022