Ein Vorschlag zur Entkriminalisierung des sogenannten Containerns von Lebensmitteln stand am Montag erneut auf der Tagesordnung des Rechtsausschusses. Ein Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke für eine entsprechende Änderung des Strafgesetzbuches (StGB) (20/4421) war Gegenstand einer öffentlichen Anhörung. Die Sachverständigen waren sich einig, dass Lebensmittel nicht einfach entsorgt werden sollten. Das Ziel des Entwurfs wurde allgemein begrüßt, die Rechtsexperten bewerteten die Umsetzungsfähigkeit allerdings unterschiedlich.
Einem Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages zu den strafrechtlichen und verfassungsrechtlichen Aspekten einer Entkriminalisierung des Containerns zufolge (WD 3 – 3000 – 020/22) wird mit dem Begriff „Containern“ das Entwenden von Lebensmitteln bezeichnet, die – etwa wegen einer Überschreitung des Mindesthaltbarkeitsdatums – entsorgt wurden. Im Falle der Entwendung aus Abfallbehältern von Einzelhändlern werde das Containern von Staatsanwaltschaften und Strafgerichten zumeist als Diebstahl nach Paragraf 242 Absatz 1 Strafgesetzbuch eingestuft. Dies werde allerdings von den Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht, da auch Fälle denkbar seien, in denen das Entsorgen der Waren mit einem Eigentumsverzicht verbunden war. In der Praxis endeten viele Verfahren mit einer Einstellung oder einem Freispruch.
Mohamad El-Ghazi von der Universität Trier erklärte in seiner Stellungnahme, dem Gesetzgeber stehe es aus verfassungsrechtlicher Perspektive frei, das Containern von Lebensmitteln zu entkriminalisieren. Mit dem Entwurf werde jedoch keine echte Entkriminalisierung bewirkt. Die vorgeschlagene Regelung sei prozessualer Natur. Die materielle Strafbarkeit bliebe bestehen. Dies sei strafrechtssystematisch inkonsistent. Der Professor, der auf Vorschlag der SPD eingeladen wurde, sagte, die vorgeschlagene Regelung sei zu weit gefasst und schieße über das eigentliche Ziel hinaus. Sie gehöre „in die Tonne“. Es würden Ressourcen für ein Scheinproblem vergeudet.
Der Stuttgarter Rechtsanwalt Olaf Hohmann, Honorarprofessor an der Universität Greifswald, erklärte, der Gesetzentwurf verkenne die europarechtliche Legaldefinition des Begriffs „Lebensmittel“ und europarechtliche Vorgaben für den Umgang mit Lebensmitteln. Das geltende Straf- und Strafverfahrensrecht biete ausreichende Möglichkeiten, einem geringen Unrechts- und Schuldgehalt einer Tat Rechnung zu tragen. Die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Regelung sei wegen der fortbestehenden Pflicht, beim Containern regelmäßig neben Diebstahl weitere Delikte zu verfolgen, ungeeignet, die Ermittlungsbehörden und Strafgerichte zu entlasten. Der Gesetzentwurf sei bloße Symbolik.
Michael Kubiciel von der Universität Augsburg, der wie Hohmann auf Vorschlag der Fraktion der CDU/CSU eingeladen wurde, riet ebenfalls von einer Verabschiedung des Gesetzentwurfs ab. Wie El-Ghazi kritisierte der Professor, dass er ein materielles Ziel – Entkriminalisierung des Containerns – mit einem systematisch unpassenden Mittel verfolge.
Auf Vorschlag der Fraktion Die Linke gab der Berliner Strafverteidiger Stefan Conen eine Einschätzung des Gesetzentwurfs ab. Unter Bezug auf das Unwerturteil der Schuld – also ein negatives ethisches Urteil über einen Täter oder eine Tat – sagte Conen, man müsse sich fragen, wem dieses eigentlich mehr gebühre: Dem, der Lebensmittel einfach wegschmeiße, wie die Lebensmittelketten, oder jemandem, der sich daraus bediene. Es sei auch nicht so, dass das zwingende Absehen von Verfolgung im materiellen Strafrecht völliges Neuland wäre. Der Vorschlag ziele absolut in die richtige Richtung, und gesetzestechnisch sei es möglich, sagte Conen. Seiner Meinung nach geht der Entwurf nicht weit genug.
Der Berliner Rechtsanwalt Ali B. Norouzi vom Deutschen Anwaltverein erklärte, die genannten Einwände gegen den Entwurf seien nicht richtig. Es gebe weder eine Eigentumsgarantie noch seien die Vorschläge überflüssig oder systemfremd. Der Professor, der auf Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen eingeladen wurde, sagte, die Entkriminalisierung des Containers könne das Problem der Lebensmittelverschwendung in einer marktwirtschaftlich verfassten Wirtschaftsordnung allein nicht lösen, solange weitere ordnungsrechtliche Maßnahmen fehlten. Es gelte der Satz, dass Sozialpolitik die beste und wirksamste Kriminalpolitik ist. Natürlich gehe es auch um Symbolik. Aber auch symbolische Entkriminalisierung bleibe Entkriminalisierung.
Der Leipziger Rechtsanwalt Max Malkus, ebenfalls von den Grünen als Sachverständiger vorgeschlagen, sagte, Containern sei kein Randproblem. Er teile nicht die Ansicht, dass Lebensmittel, in dem Moment, wenn sie im Mülleimer landen, zu Abfall werden, denn sie könnten wieder entwidmet werden. Er würde auch EU-Recht dagegen halten. Insgesamt könne man sagen, dass das EU-Recht einer Entkriminalisierung von Containern nicht entgegensteht. Sozialwidrig sei das Widmen von Lebensmitteln zu Abfällen, und nicht umgekehrt das Retten von Lebensmitteln. Da müsse man ansetzen, da sei bisher leider nichts passiert.
Elisa Kollenda, Ernährungsexpertin von der Umweltschutzorganisation WWF Deutschland, die auf Vorschlag der SPD an der Anhörung teilnahm, betonte in ihrer Stellungnahme, dass Containern überflüssig werden müsse. Die Entkriminalisierung des Containerns sei aus ökologischer und sozialer Sicht ein sinnvoller Schritt. Jedes gerettete Lebensmittel sei ein wichtiger Beitrag zum Umwelt-, Klima- und den Ressourcenschutz. Zudem könne das Retten von Lebensmitteln Transparenz über das Ausmaß der derzeitigen Verschwendung schaffen und somit zu einem erhöhten Bewusstsein in der Bevölkerung beitragen. Gleichzeitig packe der Vorstoß der Linksfraktion das Problem noch nicht an der Wurzel. Stattdessen sollte die Bundesregierung die Überschussproduktion und Verschwendung schon von Anfang und entlang der gesamten Lieferkette durch einen gesetzlichen Rahmen verhindern.
Jochen Brühl, Vorsitzender des Dachverbands Tafel Deutschland, begrüßte die gesellschaftliche und politische Debatte zum Umgang mit überschüssigen Lebensmitteln und damit auch zur Reduzierung von Lebensmittelverschwendung sowie die Auseinandersetzung mit möglichen gesetzlichen Regelungen in Deutschland. Auch Brühl, der ebenfalls auf Vorschlag der SPD teilnahm, rief die Politik auf, durch konkrete Maßnahmen und unter Einbeziehung der gesamten WertschöpfungsketteContainern überflüssig machen. Vor allem aber sollte niemand in Deutschland im Müll wühlen müssen, um an Lebensmittel zu kommen.
Der Bundestag hatte sich am 26. Januar 2023 erstmalig mit dem Gesetzentwurf befasst. Wie es in der Vorlage heißt, könnte die Entnahme noch genießbarer Lebensmittel aus Abfallcontainern von Supermärkten gegenwärtig als Diebstahl eingeordnet werden. Um eine Strafbarkeit wegen Diebstahls auszuschließen, soll laut Entwurf von der Verfolgung dieser Taten abgesehen werden. Zu diesem Zweck solle ein Absatz 2 in Paragraf 248a StGB („Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen“) eingefügt werden, der regelt, dass von der Verfolgung abzusehen ist, wenn sich die Tat auf Lebensmittel bezieht, die vom Eigentümer in einem Abfallbehältnis, welches der Abholung und Beseitigung durch einen Entsorgungsträger dient, deponiert oder anderweitig zur Abholung bereitgestellt wurden.
Bereits in der 19. Wahlperiode gab es mehrere Initiativen mit dem Ziel, das Containern zu entkriminalisieren oder auf andere Weise die Verschwendung von noch verbrauchbaren Lebensmitteln zu verhindern. In einer Anhörung des Rechtsausschusses zu einem entsprechenden Antrag der Linken im Dezember 2020 hatten sich die Sachverständigen überwiegend skeptisch geäußert.
Quelle: Deutscher Bundestag, HiB Nr. 267 vom 18. April 2023