Am 17.11.1990 kam es in den frühen Morgenstunden in einem zweistöckigen Wohnhaus in der Füssener Straße in Kempten zu einem großflächigen Brandgeschehen. Von 26 Personen, welche sich in dem Gebäude aufhielten, konnten sich viele nur noch mit einem Sprung aus den Fenstern im ersten bzw. zweiten Stock unter Hinzuziehung zum Teil erheblicher Verletzungen retten. Ein 5 Jahre alter Junge erlitt eine schwere Rauchvergiftung, an der er im Krankenhaus verstarb.
Die im Jahr 2020 vollständig neu aufgerollten, bei der Generalstaatsanwaltschaft München, Bayerische Zentralstelle für Extremismus und Terrorismus (ZET), umfangreich durchgeführten Ermittlungen wurden nunmehr eingestellt. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden; die Ursache für das Brandgeschehen ließ sich nicht klären.
Die in dem Gebäude befindlichen sechs Mietwohnungen waren an türkische Familien und Einzelpersonen vermietet. Der Brand brach im ersten Obergeschoss aus, übertrug sich über die Holztreppe vom ersten in den zweiten Stock des Hauses und weitete sich in beiden Stockwerken auf die südlich gelegenen Wohnungen aus. Zudem entwickelte sich starker Rauch. Es bestand der Verdacht, dass der Brand durch unbekannte Täter vorsätzlich verursacht wurde. Rund zwei Wochen nach der Tat ging am 03.12.1990 bei der Allgäuer Zeitung in Kempten über den regulären Posteinlauf zudem ein Bekennerbrief zu dem Brandanschlag mit der Unterzeichnung „Anti-Kanaken-Front Kempten“ ein.
Das Verfahren wurde zunächst durch die zuständige Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) im August 1992 eingestellt, da ein Täter nicht ermittelt werden konnte. Aufgrund einer Presseanfrage und Presseberichterstattung, in der auch andere Brandstiftungen in den 1990er Jahren thematisiert wurden, nahm die Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) im Oktober 2020 die Ermittlungen wegen des Verdachts des Mordes an dem 5 Jahre alten Jungen und des versuchten Mordes in 25 Fällen an den weiteren Hausbewohnern wieder auf.
In der Folge wurde das Verfahren wegen des möglichen rechtsextremistischen Tathintergrunds von der Generalstaatsanwaltschaft München (ZET) übernommen. Bei der Kriminalpolizeiinspektion mit Zentralaufgaben Schwaben Süd/West wurden eine Sonderkommission bestehend aus 17 Ermittlerinnen und Ermittlern eingerichtet und die Ermittlungen vollständig neu aufgerollt.
Es wurden unter anderen mehr als 300 Zeugen vernommen, darunter die noch lebenden damaligen Hausbewohner, beteiligte Polizeibeamte, Feuerwehr- und Rettungskräfte und ehemalige Nachbarn. Das Bayerische Landeskriminalamt wurde mit der Neuerstellung eines Brandgutachtens unter Berücksichtigung sämtlicher Erkenntnisse beauftragt und ein Abgleich mit ähnlichen Branddelikten in Bayern, insbesondere im Allgäu, in den 1990er Jahren vorgenommen. Es wurde allen denkbaren Ermittlungsansätzen nachgegangen, insbesondere auch solchen, die auf einen rechtsextremistischen Hintergrund der Tat hindeuteten. Das Bekennerschreiben wurde auf seine Echtheit überprüft und es erfolgte ein Zeugenaufruf in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“. Trotz der intensiv und akribisch durchgeführten Ermittlungen konnte weder ein Tatverdächtiger ermittelt noch die Brandursache aufgeklärt werden.
Die Ermittlungen hinsichtlich eines möglichen rechtsextremistischen Tathintergrunds einschließlich einer bundesweiten Überprüfung des Bekennerschreibens verliefen ergebnislos. Es konnten weder Hinweise auf den Verfasser des Schreibens noch Belege für die tatsächliche Existenz der Gruppierung „Anti-Kanaken-Front Kempten“ gewonnen werden. Eine in enger Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz umfangreich erfolgte Überprüfung von Personen, die Bezüge zum Allgäu und zur dortigen sogen. „Rechten Szene“ aufwiesen, erbrachte keine weiterführenden Hinweise. Der Vergleich mit anderen Branddelikten in Bayern ergab keine Zusammenhänge, die darauf hindeuten, dass der Brand in Kempten Teil einer (rechtsextrem motivierten) Brandstiftungsserie gewesen sein könnte.
Soweit aufgrund des damaligen Brandgutachtens der Verdacht bestand, dass durch einen unbekannten Täter im Treppenhaus vorsätzlich ein Brandbeschleuniger ausgebracht wurde, bestätigten dies die Ermittlungen nicht mit der erforderlichen Gewissheit. Es konnte schon nicht geklärt werden, ob es sich bei dem mutmaßlich im Treppenhaus ausgebrachten Brandbeschleuniger um Benzin oder Heizöl handelte. Die Bewohner des Hauses heizten mit Heizöl, vor jeder Wohnung befanden sich Heizölkanister bzw. Ölkannen, mit denen das Heizöl in die Wohnungen transportiert werden konnte. Vor diesem Hintergrund kommt nach dem Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere einer Zeugenaussage, auch eine (zwischenzeitlich verjährte) fahrlässige Brandstiftung als Brandursache in Betracht.
Quelle: Generalstaatsanwaltschaft München, Pressemitteilung vom 13. April 2023