Streitigkeiten zwischen Nachbarn im Zusammenhang mit sogenanntem Überwuchs von Bäumen und herabfallendem Blättern und Früchten über die Grundstücksgrenze kommen immer wieder vor. Die Frage, die sich dabei regelmäßig stellt, ist: Habe ich einen Anspruch auf Rückschnitt oder ist gar der eigene Griff zur Baumschere immer berechtigt?
Das Landgericht Köln entschied nun, dass eine Beseitigung von älteren Bäumen als auch eines größeren Überhanges über die Grundstücksgrenze ausscheiden muss, wenn die begründete Gefahr besteht, dass dies zum Absterben der Gehölze oder einem erhöhten Risiko dafür führt.
Der Kläger und der Beklagte sind Eigentümer aneinander grenzender Grundstücke. Das Grundstück des Klägers war bis 2015 nicht bebaut. 2015 erfolgten die Wohnbebauung und der Einzug des Klägers. Diverse bereits über 30 Jahre alte Bäume u.a. Kastanien, Schwarz-Erlen und Ahornbäume, die sich auf dem Grundstück des Beklagten an der Grundstücksgrenze befinden, ragen in das hangabwärts tiefer gelegene Grundstück des Klägers. Da es sich dabei um sehr hohe Bäume handelt, welche neben Laub auch Früchte tragen, kommt es auch durch die herüberhängenden Äste und Zweige zu Laub- und Früchteabfall auf das Grundstück des Klägers. In den Jahren 2018 und 2019 forderte der Kläger den Beklagten zum Rückschnitt der Bäume auf. Nachdem der Beklagte diesen Aufforderungen nicht nachkam, führten die Nachbarn zunächst erfolglos das gesetzlich vorgeschriebene Schlichtungsverfahren vor der zuständigen Schlichtungsstelle durch. Im Anschluss erhob der Kläger Klage vor dem Amtsgericht Köln. Das Amtsgericht verurteilte den Beklagten den beantragten Rückschnitt vorzunehmen. Es führte aus, dass nach § 910 Abs. 1 BGB der Eigentümer eines Grundstücks Zweige, die von einem Nachbargrundstück herüberragen abschneiden könne, wenn der Eigentümer des Grundstücks dem Nachbarn eine angemessene Frist zur Beseitigung bestimmt habe und die Beseitigung innerhalb der Frist nicht erfolgt sei. Denn dann bestehe ein Anspruch des beeinträchtigten Nachbarn auf Rückschnitt bis zur Grundstücksgrenze (§ 1004 BGB).
Einen Ausschluss dieses Anspruchs dahingehend „wenn die Wurzeln oder die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen“ (§ 910 Abs. 2 BGB) lehnte das Amtsgericht Köln in seiner Entscheidung dagegen ab.
Gegen diese Entscheidung wandte sich der Beklagte und beantragte mit dem Rechtsmittel der sogenannten Berufung eine Überprüfung vor dem Landgericht Köln. Das Landgericht Köln gab daraufhin jetzt dem Beklagten Recht und wies die Klage des Klägers ab.
Das Landgericht Köln führte aus, dass dem Kläger kein Anspruch auf Rückschnitt zustehe. Nachdem es sich zwischenzeitlich von einem gerichtlich beauftragten Sachverständigen auf dem Gebiet des Garten- und Landschaftsbaus sachkundig beraten lassen habe, scheitere der Anspruch des Klägers nach Auffassung des Landgerichts daran, dass die Benutzung des klägerischen Grundstücks im Ergebnis nicht als beeinträchtigt angesehen werden könne.
Ob eine Beeinträchtigung vorliege, entscheide nicht das subjektive (also persönliche) Empfinden des Grundstückseigentümers; maßgebend sei nach der Rechtsprechung vielmehr die objektive Beeinträchtigung der Grundstücksbenutzung. Dies habe dabei der Nachbar nachzuweisen, von dessen Grundstück die Äste herüberragen, vorliegend der Beklagte. Diesen Nachweis habe der Beklagte erbracht. Denn an einer relevanten Beeinträchtigung fehle es insbesondere, wenn die Störungen im Vergleich zu den Wirkungen des Rückschnitts des Überwuchses außer Verhältnis stehen und die Beseitigung des Überhangs deshalb unzumutbar sei. Dass sei nach der maßgeblichen Rechtsprechung beispielsweise der Fall, wenn der Rückschnitt die begründete Gefahr in sich birgt, dass sie zu einem Absterben der Bäume oder zu einer erhöhten Risikolage dafür führt. Denn dann liefe der verlangte Rückschnitt letztlich auf eine verbotene Beseitigung des Baumes hinaus.
Vorliegend seien sämtliche in Rede stehenden Gehölze unstreitig mindestens sechs Jahre alt. Nach § 47 Abs. 1 NachbG NRW könne der Kläger als Nachbar eine Beseitigung daher nicht mehr verlangen. Aber auch ein Anspruch des Klägers auf den begehrten Rückschnitt sei ausgeschlossen, da er letztlich auf eine Beseitigung der Gehölze insgesamt hinauslaufen würde. Dies stehe zur Überzeugung der Kammer auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen fest. Denn der Sachverständige habe festgestellt, dass eine Entfernung des Überhangs und damit der vom Kläger begehrte Rückschnitt zu so massiven Schädigungen der Bäume führen würde, dass kaum eines der betroffenen Gehölze überleben würde. In der Folge würde der vom Kläger begehrte Rückschnitt zu einer Beseitigung der Bäume führen. Darauf habe der Kläger aber gerade keinen Anspruch.
Die am 08.03.2023 in zweiter Instanz verkündete Entscheidung zum Az. 6 S 27/20 ist rechtskräftig.
Quelle: Landgericht Köln, Pressemitteilung vom 31. März 2023