Am 23. März 2023 ist zum zweiten Mal der Horst-Sendler-Preis des Bundesverwaltungsgerichts an eine Wissenschaftlerin und zwei Wissenschaftler verliehen worden. Der Preis zeichnet herausragende wissenschaftliche Leistungen auf den Gebieten des Allgemeinen Verwaltungsrechts, des Verwaltungsprozessrechts sowie der Institution der Verwaltungsgerichtsbarkeit aus.
Frau Dr. Mariamo Katharina Ilal , LL.M., erhielt den Preis in der Klasse „Monographien“ für ihr Werk “ Der Geheimhaltungskonflikt im Verwaltungsprozess“ (Beiträge zum Verwaltungsrecht, Bd. 25, 2023). Die an der Humboldt-Universität Berlin entstandene Dissertation untersucht, wie im Verwaltungsprozess mit Akten umzugehen ist, die – aus welchen Gründen auch immer – anderen Prozessbeteiligten nicht zur Kenntnis kommen sollen. Wie wird der Konflikt zwischen dem Gebot effektiven Rechtsschutzes, dem Anspruch auf rechtliches Gehör und den Geheimhaltungsinteressen der Beteiligten aufgelöst? Nach geltendem Recht entscheiden nicht die für die Sachentscheidung zuständigen Richterinnen und Richter über die Geheimhaltungsbedürftigkeit, sondern ein Fachsenat (§ 99 VwGO). Bleiben die Akten geheim, entscheidet der für die Sache zuständige Spruchkörper – notgedrungen – nach Beweislast. Frau Ilal analysiert mit sprachlicher und gedanklicher Klarheit Vorzüge und Mängel dieses Beweislastmodells und plädiert unter Berufung auf das Unionsrecht für ein Verwertungsmodell: Es erlaubt dem Gericht den Zugriff auf die Akten, auch wenn nicht alle Beteiligten Einsicht nehmen können. Die Überzeugungskraft ihrer Lösung beruht auf einer sprachlich und gedanklich beeindruckenden Analyse der tatsächlichen Konflikte um die Geheimhaltung. Die Arbeit verliert nie die Praxis der Rechtsprechung aus den Augen und scheint deswegen – so die Jury – besonders geeignet, diese Praxis zu begleiten und zu verbessern.
In der Klasse „Aufsätze“ wurden Herr Jonas Plebuch und Herr Simon Pielhoff von der Universität Münster für ihren Aufsatz „ Verwaltungsstaat als Demokratieideal – Administrative State als Demokratiegefahr?“ (Der Staat 61 [2022], 167) ausgezeichnet. Die Autoren betrachten drei klassische Themen des Verwaltungsrechts: die Zulässigkeit unabhängiger Behörden, die Grenzen gerichtlicher Kontrolldichte und die Möglichkeiten administrativer Normgebung. Die Entwicklungen im deutschen und US-amerikanischen Verwaltungsrecht scheinen sich anzunähern. Plebuch und Pielhoff zeigen, dass dieser Eindruck trügt – zu unterschiedlich sind die verfassungsgeschichtlichen Voraussetzungen und die politischen Kräfteverhältnisse. Denn anders als der Verwaltungsstaat in Deutschland sieht sich der administrative state in den USA teils fundamentaler Ablehnung gegenüber. Der Aufsatz öffnet Augen für Möglichkeiten und Grenzen der Rechtsvergleichung im Verwaltungsrecht. Sie kann nur gelingen, wenn sie über einzelne Fragen hinaus die großen Entwicklungslinien im Blick behält, und bedarf daher steter, auch institutioneller Pflege, so die Begründung der Jury.
Insgesamt nahmen an dem Wettbewerb 20 Bewerberinnen und Bewerber mit 18 Arbeiten teil. Voraussetzung für die Teilnahme waren ein abgeschlossenes, nicht notwendig juristisches Hochschulstudium und die Beachtung einer Altersgrenze von 35 Jahren. Das Anliegen des Organisationskomitees und der Jury, letztere bestehend aus dem Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Christoph Külpmann, der Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Isabel Schübel-Pfister und dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts a.D. Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Rennert, ist es, mit diesem Preis den wissenschaftlichen Nachwuchs dazu anzuregen, sich dem Forschungsfeld des Allgemeinen Verwaltungsrechts und des Verwaltungsprozessrechts zuzuwenden. Die Namensgebung erinnert an den ehemaligen Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Horst Sendler (1926 – 2006), dem die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses immer ein Anliegen war.
Im September 2023 wird der Horst-Sendler-Preis des Bundesverwaltungsgerichts zum dritten Mal in Fachzeitschriften sowie in den akademischen Fachkreisen ausgeschrieben. Ende der Einreichungsfrist wird der 1. Juli 2024 sein.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung vom 27. März 2023