Nach der Tötung eines Mädchens durch zwei Mitschülerinnen werden teils Forderungen nach einer Absenkung des Strafmündigkeitsalters laut. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) sieht dafür keine Notwendigkeit. Für eine sachliche Debatte müsse beachtet werden, dass auch ohne Anwendung des Strafrechts delinquentes Verhalten von Kindern nicht ohne Folgen bliebe.
„So schrecklich der Vorfall auch ist und uns fassungslos macht: Kriminalpolitik darf sich nicht nach Einzelfällen richten“, erklärt Rechtsanwalt Swen Walentowski, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des DAV. Das Strafrecht sei die ultima ratio des Rechtsstaats und dürfe nicht leichtfertig bei Kindern angewandt werden. Nicht umsonst sei der Kerngedanke des Jugendgerichtsgesetzes „Erziehung vor Strafe“. Dennoch würden Gewalttaten von Minderjährigen unter 14 Jahren nicht ohne Konsequenzen bleiben: „Familienrecht und Jugendhilfe bieten eine Auswahl an Maßnahmen, auf die in solchen Fällen zurückgegriffen werden kann – von der Erziehungshilfe für die Eltern über die Inobhutnahme des Kindes bis hin zur Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung.“
Im Vordergrund stehe dabei stets der Resozialisierungsgedanke. „Der Sinn von Strafe und die Wirksamkeit von Strafverschärfungen wird aus kriminologischer Sicht schon bei Erwachsenen in Frage gestellt“, so der Rechtsanwalt. Strafe bedürfe einer Einsichtsfähigkeit für Recht und Unrecht, die Kindern unter 14 Jahren in der Regel fehle. Auch bei älteren Jugendlichen sei die Strafmündigkeit deshalb nicht automatisch gegeben: „Gerichte können die Strafunmündigkeit von Jugendlichen – unabhängig vom Alter – feststellen, wenn diese nach ihrer sittlichen und geistigen Entwicklung nicht reif genug sind, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln“, erläutert Walentowski.
Das Strafrecht sei deshalb nicht das geeignete Mittel, um auf solche Gewalttaten zu reagieren. „Die ‚Vergeltung‘ gegenüber Kindern kann kein Teil unseres Justizsystems sein. Dies muss bei der Debatte über eine Absenkung des Strafmündigkeitsalters beachtet werden“, konstatiert Swen Walentowski.
Quelle: Deutscher Anwaltverein, Pressemitteilung vom 20. März 2023