Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, hält das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr für nicht ausreichend, um die volle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte herzustellen. Nach Einschätzung militärischer Experten sei dafür eine „Summe von insgesamt 300 Milliarden Euro“ notwendig, schreibt Högl in ihrem Jahresbericht 2022 (20/5700), den sie am Dienstag an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) übergab und anschließend der Presse präsentierte. „Die Höhe des Verteidigungshaushaltes muss sich daher in den kommenden Jahren ausgehend von den im Berichtsjahr erreichten 1,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes stetig und in deutlichen Schritten hin zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato bewegen“, heißt es in Högls Bericht. Es seien zweistellige Milliardenbeträge erforderlich, um die Munitionsbestände aufzufüllen und Munitionslager zu bauen. Diese Summen seien im Sondervermögen nicht enthalten, sondern seien aus dem regulären Verteidigungshaushalt zu finanzieren. Zudem machten die Preisentwicklung auf dem Energie- und Rohstoffmarkt sowie die angesichts des Ukraine-Krieges gestiegene internationale Nachfrage nach militärischer Ausrüstung steigende Verteidigungsausgaben auch in Zukunft notwendig.

Die Wehrbeauftragte mahnt in ihrem Bericht eindringlich an, Deutschland müsse angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine seine Verpflichtungen gegenüber der Nato erfüllen. Seien für Auslandseinsätze wie in Afghanistan zwei Verbände in Bataillonsstärke bereitzuhalten und auszurüsten gewesen, habe Deutschland der Nato für eine glaubwürdige Abschreckung drei Divisionen mit acht Brigaden und insgesamt 50.000 Soldaten zugesagt. Diese Großverbände müssten mit dem entsprechenden Großgerät und der notwendigen Ausrüstung und Bekleidung der Soldaten ausgerüstet sein.

Högl fordert vor allem eine deutlich schnellere Beschaffung von militärischer Ausrüstung an. Zwar seien mit den Beschlüssen zur Beschaffung des Mehrzweckkampfflugzeuges F-35 als Nachfolger für den Tornado, eines neuen Schweren Transporthubschraubers, bewaffneter Drohnen, neuer Sturmgewehre oder neuer digitaler Funkgeräte der richtige Weg beschritten worden, aber im Jahre 2022 sei bei den Soldaten „noch kein Cent aus dem Sondervermögen angekommen“. Das Beschaffungswesen sei „zu behäbig“. Lobend erwähnt die Wehrbeauftragte die Entscheidung, verstärkt marktverfügbares Material statt „Goldrandlösungen“ zu beschaffen und die Anhebung der Direktvergaben von 1.000 auf 5.000 Euro. Die angestoßenen Reformen bei der Beschaffung müssten „mit Hochdruck“ beschleunigt werden. Gleiches gelte auch für die Sanierung von Infrastruktur und Kasernen, von denen zu viele „in einem erbärmliche Zustand“ seien. „Wenn es bei dem augenblicklichen Tempo und den bestehenden Rahmenbedingungen bliebe, würde es etwa ein halbes Jahrhundert dauern, bis allein nur die jetzige Infrastruktur der Bundeswehr komplett saniert wäre“, schreibt Högl.

Um die anvisierte Sollstärke von 203.000 Soldaten bis 2031 zu erreichen, muss die Bundeswehr nach Einschätzung Högls ihre bisherigen Anstrengungen bei der Personalgewinnung „massiv verstärken“. So habe die Truppenstärke von 183.051 Soldaten und Soldatinnen Ende vergangenen Jahres sogar um 644 unter der des Jahres 2021 gelegen und das Bewerberaufkommen habe sich um rund elf Prozent verringert. So hätten viele Verbände und Einheiten auch im vergangenen Jahr unter einer hohen Zahl unbesetzter Dienstposten gelitten. Von den 117.987 militärischen Dienstposten oberhalb der Mannschaftslaufbahn seien zum 31. Dezember 2022 mit 18.692 Dienstposten 15,8 Prozent unbesetzt gewesen.

Quelle: Deutscher Bundestag, HiB Nr. 181 vom 14. März 2023

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