„Die Möglichkeiten der Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren sind in einigen Bereichen sehr begrenzt“, erklärte Vizepräsident Sebastian Beimesche beim Jahrespressegespräch des Oberverwaltungsgerichts. Schnellere Entscheidungen werden aktuell vor allem – zu Recht – für Vorhaben im Zusammenhang mit der Energiewende und der Verkehrsinfrastruktur gefordert. Am 10. Februar 2023 hat der Bundestag deshalb unter anderem Änderungen der Verwaltungsgerichtsordnung beschlossen. Der ursprüngliche Gesetzentwurf war von der Fachwelt – insbesondere der verwaltungsgerichtlichen Praxis – wegen zu großer Praxisferne scharf kritisiert worden. Jetzt ist er in einer geänderten Fassung angenommen worden, die – etwa mit der Möglichkeit einer verkleinerten Richterbank – noch ein geringes Beschleunigungspotential eröffnet. „Die tatsächlichen Gründe für die zu lange Dauer zwischen Planungsbeginn und dem Abschluss gerichtlicher Verfahren dürften andere sein“, erklärte Vizepräsident Beimesche und verwies auf die komplexen verfahrens- und materiellrechtlichen Anforderungen an die Planung, die oft unzureichende Personalausstattung bei den Planungsbehörden und die begrenzte Verfügbarkeit von Sachverständigen verschiedenster Fachrichtungen, die vor allem im Verwaltungsverfahren, mitunter aber auch im gerichtlichen Verfahren benötigt werden. Diese Gründe hätten sich auch in den Rechtsstreitigkeiten um das Trianel-Steinkohlekraftwerk in Lünen gezeigt, die das Oberverwaltungsgericht seit dem Jahr 2008 bis zum unstreitigen Abschluss des Verfahrens im Januar 2023 beschäftigt haben.
Wesentlich zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher Verfahren trägt die Personalausstattung der Gerichte bei. Das Oberverwaltungsgericht ist Mitte 2022 mit einem zusätzlichen Senat verstärkt worden, der ausschließlich Streitigkeiten um Windenergieanlagen bearbeitet. „Angesichts der angestrebten Energiewende war diese unerlässliche und effektive Personalverstärkung ein großer Schritt in die richtige Richtung“, erklärte Beimesche. Bei dieser Gelegenheit sprach er auch die seit längerem unbesetzte Präsidentenstelle am Oberverwaltungsgericht an. Die Gerichtsleitung steht in der Verantwortung, im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel die bestmöglichen personellen und sachlichen Rahmenbedingungen für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu schaffen, und hat zudem den Vorsitz in einem Senat inne. Vizepräsident Beimesche betonte: „Dass das Spitzenamt in der nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und damit auch eine Senatsvorsitzendenstelle nach dem Ruhestandseintritt von Präsidentin Dr. Brandts Ende Mai 2021 seit inzwischen fast zwei Jahren unbesetzt ist, stößt deshalb auf wachsendes Unverständnis und führt hier wie auch in der interessierten Öffentlichkeit zu Fragen, die andernorts beantwortet werden müssen.“
Nach einem kurzen Rückblick auf die große Zahl von Verfahren, die infolge der enormen Asylzuwanderung in den Jahren 2015/16 und während der Corona-Pandemie eingegangen sind, stellte Vizepräsident Sebastian Beimesche fest, dass große Klagewellen in 2022 ausgeblieben sind. Die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöste Flucht von über 1 Million Menschen nach Deutschland hat zu keiner nennenswerten Beanspruchung der Verwaltungsgerichte geführt, weil Geflüchtete aus der Ukraine einen humanitären Aufenthaltstitel erhalten, ohne zuvor ein Asylverfahren durchlaufen zu müssen.
Im Jahr 2022 sind bei den Verwaltungsgerichten wieder mehr Asylverfahren eingegangen (2022: rund 17.700, 2021: 13.800 Verfahren). Aktuelle Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) deuten darauf hin, dass die Zahlen weiter steigen werden. Vor allem wegen des erheblichen Rückgangs sogenannter Corona-Verfahren waren die Neueingänge bei den Verwaltungsgerichten (2022: rund 47.600, 2021: 51.700) und dem Oberverwaltungsgericht (2022: 5.600, 2021: 7.300) aber insgesamt rückläufig. Dies hat dazu beigetragen, dass der Bestand an Verfahren zum Jahresende 2022 um etwa 12% reduziert werden konnte. Zudem ist den Verwaltungsgerichten – nachdem seit 2016 ein kontinuierlicher Anstieg zu verzeichnen war – eine Verkürzung der durchschnittlichen Verfahrensdauer in Hauptsacheverfahren gelungen (2022: 15,5 Monate, 2021: 17,6), die hoffen lässt, dass wieder Laufzeiten von unter einem Jahr erreicht werden.
Quelle: OVG NRW, Pressemitteilung vom 2. März 2023