Der Deutsche Anwaltverein (DAV) unterstützt mit Nachdruck den Gesetzentwurf zur Bild-Ton-Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung. Eine Reduzierung auf bloße Ton-Aufzeichnung würde dem hohen Anteil an nonverbaler Kommunikation nicht gerecht. Minimalen Anpassungsbedarf sieht der DAV etwa bei den Löschvorschriften. Der DAV ist der Überzeugung, dass durch eine Pilotphase Vorbehalte bei der Richter- und Staatsanwaltschaft abgebaut werden können.

Eine objektive und transparente Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung ist nicht nur überfällig – sie ist auch dem Stand der heutigen Technik angemessen. Der DAV fordert bereits seit Jahren die audiovisuelle Dokumentation, damit dieses rechtsstaatliche Defizit beseitigt wird. Auch im europäischen Ausland ist dies längst gang und gäbe. Doch in Deutschland werden Aussageinhalte noch immer mit Zettel und Stift festgehalten.

Die im Referentenentwurf dargestellte Variante der Aufzeichnung in Bild und Ton inklusive Transskript der Tonspur ist zeitgemäß und richtig. „Eine Kompromisslösung, die sich nur mit einer bloßen Tonaufzeichnung begnügt, würde die Chance vertun, hier wirklich etwas im Sinne der bestmöglichen Wahrheitsfindung zu verändern“, appelliert Rechtsanwalt Prof. Dr. Ali B. Norouzi, stellvertretender Vorsitzender des DAV-Strafrechtsausschusses. Der überwiegende Anteil menschlicher Kommunikation sei nonverbal. Mimik, Gestik, Körperhaltung, Blicke – all dies gehöre zur Würdigung einer Aussage dazu.

Positiv bewertet der DAV, dass kein neuer Revisionsgrund geschaffen wird, wie der Rechtsanwalt betont: „Allein die Existenz der Dokumentation bietet aber eine zusätzliche Gewähr dafür, dass das Gericht bei der Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe auf eine objektive und transparente Quelle zurückgreifen kann und dieses Urteil den Inbegriff der Hauptverhandlung zutreffend wiedergibt“, erläutert Norouzi. Das habe nichts mit Misstrauen zu tun, sondern mit Qualitätssicherung. „Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, die objektive Basis der richterlichen Überzeugungsbildung im Dunklen lassen zu dürfen.“

Anpassungsbedarf bei Löschvorschriften

Neben den vielen positiven Aspekten sieht der DAV jedoch an einigen Stellen auch noch Verbesserungsbedarf. Kritisch wird etwa die vorgesehene Löschung der Aufzeichnungen unmittelbar nach Rechtskraft des Verfahrens beurteilt. „In Einzelfällen könnten die Aufzeichnungen möglicherweise für die Prüfung und Vorbereitung von Wiederaufnahmeverfahren bedeutsam sein – es wäre daher sinnvoll, die Löschung vom Einverständnis des Angeklagten abhängig zu machen“, schlägt Prof. Dr. Norouzi vor.

Vorbehalte bei Richtern und Staatsanwälten

Richterschaft und Generalstaatsanwaltschaften haben Bedenken gegenüber dem Gesetzentwurf geäußert. Der DAV teile diese nicht. „Der Blick ins Ausland zeigt: die audiovisuelle Dokumentation funktioniert und ist vielerorts längst bewehrter Standard“, erklärt der Rechtsanwalt. Es gebe keine „unübersehbaren Gefahren für die Wahrheitsfindung“. Das sei geradezu paradox, da die audiovisuelle Dokumentation gerade einer wahrheitsgemäßen Erfassung der Verhandlungsinhalte dient. Um Vorbehalte in der Justiz abzubauen, empfiehlt der Anwaltverein, rasch eine Pilotphase zu starten, um die praktische Umsetzung zu erproben.

Quelle: Deutscher Anwaltverein, Pressemitteilung vom 15. Februar 2023

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