Die EU-Kommissarin für Inneres will im Rahmen eines Berlin-Besuchs bei Bundesinnenministerin Faeser und Bundesjustizminister Buschmann die EU-Pläne in Sachen Chatkontrolle (CSAM) adressieren. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert das Vorhaben, das einen nie dagewesenen Eingriff in die Privatsphäre der Bürger:innen bedeuten würde, aufs Schärfste. Die Bundesregierung muss sich klar zum Koalitionsvertrag bekennen und die anlasslose Massenüberwachung der elektronischen Kommunikation vollumfänglich ablehnen.
„Der Kampf gegen sexuellen Missbrauch ist ein Thema von höchster Wichtigkeit – doch heiligt eben der Zweck nicht die Mittel“, betont Rechtsanwältin Dr. Sylvia Ruge, Hauptgeschäftsführerin des DAV. „Die anlasslose und flächendeckende Überwachung der privaten Kommunikation würde in die Grundrechte nahezu aller Bürger:innen eingreifen, Kinder jedoch nur in geringem Maße schützen. Hierfür sollten die Staaten zielgerichtete, effektive und möglichst präventive Maßnahmen ergreifen. Eine anlasslose Massenüberwachung erfüllt diese Kriterien nicht.“
Beinahe die Gesamtheit der Hosting- und Kommunikationsanbieter wäre von der Scan-Pflicht betroffen. Die etablierte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, die in zahlreichen Messengern längst Standard ist, müsste entweder aufgehoben oder durch einen clientseitigen Scan umgangen werden. „Die Pläne der EU würden das Recht auf Achtung des Privatlebens, das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten und das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit verletzen“, so Ruge. Ohne das Vorliegen einer Bedrohung für die nationale Sicherheit oder eines konkreten Verdachts auf terroristische Aktivitäten sei eine solche automatisierte Datenauswertung unzulässig. Nicht zuletzt ist auch die Anwaltschaft betroffen: „Die Vertraulichkeit der Kommunikation von Anwältinnen und Anwälten mit ihren Mandanten wäre nicht mehr gewährleistet“, mahnt die Rechtsanwältin. „Die Folgen für den Berufsgeheimnisschutz wären fatal.“
Chatkontrolle ist ungeeignete Ermittlungsmethode
Bei allen rechtlichen Schwierigkeiten ist die Chatkontrolle auch für tatsächliche Ermittlungen ein ungeeignetes Werkzeug. Die Technik ist unpräzise und führt zu einer Masse an Falsch-positiv-Treffern. Bedingung für das Erkennen solcher Straftaten ist auch die Verifizierung des Alters der Nutzer:innen – ohne Klarnamen- und Identifizierungspflicht ist das nicht machbar. Die technische Umsetzung der Chatkontrolle würde Sicherheitslücken aufreißen – Geräte könnten kompromittiert und von Dritten ausgelesen werden.
Die DAV-Hauptgeschäftsführerin warnt deshalb: „Die Chatkontrolle untergräbt die rechtsstaatlichen Prinzipien in der Verbrechensbekämpfung. Dass das hehre Ziel des Kinderschutzes herhalten soll, um ein solches Instrument zu etablieren, ist mindestens fragwürdig. Der Deutsche Anwaltverein appelliert an die Bundesregierung, sich – wie es der Koalitionsvertrag verlangt – deutlich gegen die anlasslose Durchleuchtung sowohl der verschlüsselten als auch der unverschlüsselten elektronischen Kommunikation zu positionieren.“
Quelle: Deutscher Anwaltverein, Pressemitteilung vom 10. Februar 2023