Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich (20/5165) ist am Montag bei einer öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss überwiegend auf Ablehnung und teils scharfe Kritik annähernd aller geladenen Sachverständigen gestoßen. Die Bundesregierung will in Verwaltungsgerichtsverfahren zu bestimmten Infrastrukturvorhaben durch Änderungen in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) eine zeitliche Straffung erreichen.
Die Sachverständigen aus der Richterschaft meldeten grundsätzliche Zweifel an, ob sich im gerichtlichen Verfahren überhaupt eine relevante Beschleunigung erreichen lässt. Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen, führte in seiner Stellungnahme aus, dass in der Praxis weitestgehend Einigkeit darüber bestehe, dass die Möglichkeiten der Beschleunigung der verwaltungsgerichtlichen Verfahren nahezu ausgeschöpft seien. Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Änderungen führten – mit Ausnahme der Verkürzung des Instanzenweges – „bestenfalls zu keiner Verzögerung der gerichtlichen Verfahren“, sagte der von der CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagene Sachverständige.
Ähnlich argumentierte die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht, Ulrike Bick. Das vom Gesetzentwurf formulierte Ziel sei „insofern praxisfremd, als es die wahren Gründe für die erheblich zu lange Planungsdauer großer Infrastrukturprojekte ausblendet“, schrieb Bick in ihrer Stellungnahme. Vor den Abgeordneten führte die von der SPD-Fraktion vorgeschlagene Sachverständige zudem aus, dass eine bessere Ausstattung der Gerichte – mehr Richterinnen und Richter, mehr wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – notwendig sei. Diese Forderung wurde auch von vielen anderen Sachverständigen erhoben.
Der ehemalige Richter am Bundesverwaltungsgericht, Peter Wysk, resümierte ebenso, dass verwaltungsgerichtliche Verfahren „ein von vornherein wenig geeigneter Bereich für die schnellere Realisierung umweltrelevanter Vorhaben sind“. Er verwies auf die Vorgaben des Unions- und Völkerrechts sowie die Rechtsprechung des EuGH. Daran gemessen sei das „prozessuale Beschleunigungspotenzial“ durch frühere Beschleunigungsgesetzgebung „weitgehend ausgeschöpft“, kritisierte der von der CDU/CSU vorgeschlagene Sachverständige in seiner Stellungnahme.
Etwas positiver äußerte sich der Richter am Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht, Fabian Scheffczyk. Die vorgeschlagenen Regelungen könnten „überwiegend dazu beitragen, gewisse Beschleunigungseffekte im gerichtlichen Verfahren zu erzielen“, führte der von der FDP-Fraktion vorgeschlagene Sachverständige darin aus. Allerdings nur, wenn bei den Themen früherer Erörterungstermin und Klageerwiderungsfrist nachgesteuert werden, sonst drohe der Entwurf als „Gesetz zur Verzögerung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich“ ins Bundesgesetzblatt einzugehen, sagte der Richter vor den Abgeordneten.
Franziska Heß, Rechtsanwältin und stellvertretende Vorsitzende Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Landesverband Sachsen, forderte die Abgeordneten dazu auf, den Entwurf nicht weiter zu verfolgen. „Die geplanten Regelungen sind nicht nur nicht hilfreich, sondern schädlich“, sagte die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagene Sachverständige.
Eine grundsätzlich positive Einschätzung des Entwurfes vertrat die Rechtsanwältin Ines Zenke. Positiv hob sie die geplanten Regelungen zur innerprozessualen Präklusion und Priorisierung hervor. „Wenn man nicht losläuft, kommt man nicht an“, sagte die von der SPD-Fraktion vorgeschlagene Sachverständige.
Unisono kritisch gesehen wurde von den sich dazu äußernden Sachverständigen der im Entwurf vorgesehene frühere Erörterungstermin in Gerichtsverfahren zu besonders bedeutsamen Vorhaben. Bei zu priorisierenden Verfahren soll das Gericht danach innerhalb von zwei Monaten nach Eingang der Klageerwiderung einen Erörterungstermin einberufen, um eine gütliche Einigung zu erzielen beziehungsweise eine Strukturierung des weiteren Verfahrens zu ermöglichen. Die Sachverständigen argumentierten, dass diese Regelung bei den Gerichten zu einem höheren Aufwand führen würde, ohne dass eine tatsächliche Beschleunigung zu erwarten sei.
Weniger eindeutig fiel das Meinungsbild der Sachverständigen zu der im Entwurf vorgesehenen Einführung einer präklusionsbewehrten Klageerwiderungsfrist von zehn Wochen im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz aus. Sehr kritisch äußerten sich vor allem die Sachverständigen aus der Richterschaft. Richter Seegmüller sagte beispielsweise, die vorgeschlagene Regelung gehe „an der Praxis vorbei“. Sie zwinge die Beklagten zu einer kleinteiligen Erwiderung und führe zu weiterem Prüfungsaufwand bei Gericht. Zudem könne dann, sollte ein Punkt nicht erwidert worden sein, eine eigentlich rechtmäßige Planung aufgrund der Präklusion für rechtswidrig erklärt werden müssen. Der Vorschlag konterkariere die Intention des Entwurfes, führte Seegmüller aus.
Für diese Regelung sprachen sich hingegen BUND-Vertreterin Heß, Rechtsanwalt Remo Klinger und der Rechtsanwalt Philipp Schulte aus. Schulte schrieb in seiner Stellungnahme, dass durch so eine Frist verhindert werden könne, dass der Zeitgewinn durch die Klagebegründungsfrist „durch eine späte oder unvollständige Erwiderung der Beklagtenseite sogleich wieder eingebüßt wird“. Diese Frist müsse aber auch für Beigeladene greifen, forderte der von der Grünen-Fraktion vorgeschlagene Sachverständige.
Strittig wurde zudem die Vorschriften zum Eilrechtsschutz im vorgeschlagenen Paragraf 80c Absatz II VwGO diskutiert. In diesen Verfahren soll das Gericht bestimmte angegriffene Mängel an Verwaltungsakten außer Acht lassen können, wenn es davon ausgeht, dass der Mangel geheilt werden kann. In ihrer Stellungnahme verwies BUND-Vertreterin Heß auf europa- und verfassungsrechtliche Bedenken. Richterin Bick schrieb in ihrer Stellungnahme, dass die Regelung „keinen relevanten Anwendungsbereich“ habe. Der von der Fraktion Die Linke vorgeschlagene Sachverständige Remo Klinger, Rechtsanwalt und Mitglied im Ausschuss für Umweltrecht des Deutschen Anwaltvereins, führte zudem aus, dass die Änderung gerade im Bereich der Windkraftanlagen nach hinten losgehen und den Ausbau der Windenergie in dieser Legislaturperiode deutlich ausbremsen könnten, sei dies doch der für dieses Verfahren relevante Bereich.
Für die Norm in modifizierter Form sprach sich die Rechtswissenschaftlerin Bettina Schöndorf-Haubold von der Justus-Liebig-Universität Gießen aus. Sie schlug zudem vor, eine entsprechende Kostenregelung zu finden. Wenn ein Kläger so durch seine Klage eine Heilung des Verwaltungsaktes anstoße, dürfe er nicht mit den Kosten belastet werden, führte die von der SPD-Fraktion vorgeschlagene Sachverständige aus. Der von CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagene Sachverständige Winfried Kluth führte in seiner Stellungnahme aus, dass gegen diese Regelung – und die weiteren Regelungen in Abschnitt 80c zur Vollzugsfolgeabwägungen – rechtlich nichts einzuwenden sei. Es solle aber auch nicht erwartet werden, dass von dieser Regelung „ein spürbarer Beschleunigungseffekt ausgehen“ werde, schreib der Rechtswissenschaftler von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Die hib-Meldung zum Regierungsentwurf: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-929332
Übersichtsseite der Anhörung mit Stellungnahmen und Sachverständigenliste: https://www.bundestag.de/ausschuesse/a06_recht/anhoerungen/926846-926846
Quelle: Deutscher Bundestag, HiB Nr. 46 vom 23. Januar 2023