Die Ampel-Koalition hat sich das Ziel gesetzt, die Verteidigung von Beschuldigten mit Beginn der ersten Vernehmung sicherzustellen. Die BRAK mahnt in einer Initiativstellungnahme dringend die Umsetzung dieses Vorhabens an.
In ihrem Koalitionsvertrag haben sich die Regierungsparteien unter anderem das Ziel gesetzt, die Verteidigung von Beschuldigten mit Beginn der ersten Vernehmung sicherzustellen. Mit einer Initiativstellungnahme hat die BRAK den dringenden Handlungsbedarf in dieser Frage unterstrichen. Darin begrüßt sie die rechtspolitische Zielsetzung der Koalition. Den Gesetzgeber fordert sie auf, die Bestellung eines Pflichtverteidigers nicht nur auf Antrag vorzusehen, sondern von Amts wegen – entsprechend den Grundsätzen des deutschen Systems der notwendigen Verteidigung und vor einer polizeilichen oder sonstigen Vernehmung oder Gegenüberstellung.
Nach dem geltenden Recht sei eine Verteidigung von Beschuldigten ab Beginn der ersten (in der Regel: polizeilichen) Vernehmung nur gewährleistet, wenn er oder sie einerseits so klug und andererseits finanziell in der Lage sei, vor der Vernehmung eine Verteidigerin bzw. einen Verteidiger zu wählen. Ohne Wahlverteidigeung sei derzeit nicht einmal in den Fällen notwendiger Verteidigung gem. § 140 StPO die Verteidigung von Beschuldigten in der ersten Vernehmung gesichert. Denn das geltende Recht mache gem. § 141 I StPO die Bestellung eines Pflichtverteidigers regelmäßig von einem „ausdrücklichen Antrag“ abhängig und sehe im Zusammenhang damit in § 136 I 5 StPO eine (irreführende) Belehrung zur Kostentragungspflicht bei Verurteilung vor. Das erst im Zuge der Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung 2019 geschaffene Antragserfordernis ist aus Sicht der BRAK widersprüchlich, denn entweder sei eine Verteidigung notwendig oder eben nicht. Der Gesetzgeber habe 2019 die große Chance einer rechtsstaatlichen Regelung der Pflichtverteidigerbestellung vertan.
Die BRAK mahnt daher dringend eine Reform der Vorschriften zur Bestellung von Pflichtverteidigerinnen und -verteidigern an, bei der die genannten Kritikpunkte berücksichtigt werden. Zudem sollten aus ihrer Sicht die europarechtlichen Anforderungen an eine Belehrung in einfacher und leicht verständlicher Sprache in § 136 StPO endlich beachtet und angemessen umgesetzt werden, zumindest durch Streichung der Klausel zur Kostentragungspflicht. Schließlich bedürfe es zur rechtsstaatlichen Absicherung einer rechtzeitigen Bestellungspraxis der klarstellenden gesetzlichen Verankerung von Verwendungs- bzw. Verwertungsverboten für den Fall von Zuwiderhandlungen.
Weiterführende Links:
- Stellungnahme Nr. 49/2022
- Koalitionsvertrag (S. 106 a.E.)
Quelle: Bundesrechtsanwaltskammer, Nachrichten aus Berlin | Ausgabe 24/2022