Die Regelungen der Sächsischen Corona-Schutz-Verordnung vom 17. April 2020 (SächsCoronaSchVO) über die Kontaktbeschränkung für den Aufenthalt im öffentlichen Raum, die Untersagung von Gastronomiebetrieben und die Schließung von Sportstätten einschließlich Golfplätzen* hatten im Infektionsschutzgesetz eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage und waren verhältnismäßig. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Der Antragsteller wandte sich im Wege der Normenkontrolle gegen die vom 20. April bis 3. Mai 2020 geltende Verordnung. Sein Antrag festzustellen, dass § 2 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Satz 1 SächsCoronaSchVO unwirksam waren, blieb vor dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht ohne Erfolg. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Antragstellers zurückgewiesen.
Rechtsgrundlage für die angegriffenen Verordnungsregelungen war § 32 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes in der Fassung des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 27. März 2020 (IfSG a. F.).* Die Voraussetzungen, unter denen nach diesen Vorschriften Ge- und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten erlassen werden konnten, lagen vor. Bei Erlass der Verordnung waren Menschen an COVID-19 und damit an einer übertragbaren Krankheit im Sinne des Infektionsschutzgesetzes erkrankt. Auch Ge- und Verbote, die – wie hier – unabhängig von einem Krankheits- oder Ansteckungsverdacht an die Allgemeinheit gerichtet sind, konnten notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne der genannten Vorschriften sein.
§ 32 i. V. m. § 28 Abs. 1 IfSG a. F. war in dieser Auslegung verfassungsgemäß. Der Grad der verfassungsrechtlich erforderlichen Bestimmtheit hängt u.a. von den Besonderheiten des jeweiligen Sachbereichs ab. Im Infektionsschutzrecht ist eine Generalklausel, wie sie § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 IfSG a. F. enthält, sachgerecht. Der Gesetzgeber kann nicht voraussehen, welche übertragbaren Krankheiten neu auftreten und welche Schutzmaßnahmen zu ihrer Bekämpfung erforderlich sein werden. Hat sich der Erkenntnisstand in Bezug auf einen neuen Krankheitserreger verbessert und haben sich geeignete Parameter herausgebildet, um die Gefahrenlage zu beschreiben und zu bewerten, kann der Gesetzgeber allerdings gehalten sein, für die jeweilige Krankheit zu konkretisieren, unter welchen Voraussetzungen welche Schutzmaßnahmen ergriffen werden können. Eine solche Kodifikationsreife lag für COVID-19 im hier maßgebenden Zeitraum von Mitte April bis Anfang Mai 2020 nicht vor.
Die angegriffenen Verordnungsregelungen waren auch verhältnismäßig und damit notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne von § 32 Satz 1 i. V. m. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG a. F. Das Ziel der Verordnung, physische Kontakte zu vermeiden, um die Ausbreitung des Virus und der Krankheit
COVID-19 zu verlangsamen, stand im Einklang mit dem Zweck der Verordnungsermächtigung. Die Annahme des Verordnungsgebers, dass dieses Ziel ohne die erlassenen Ge- und Verbote gefährdet und die Gefahr wegen einer möglichen Überlastung des Gesundheitssystems dringlich war, beruhte nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auf einer tragfähigen tatsächlichen Grundlage. Der Verordnungsgeber durfte sich für seine tatsächliche Einschätzung der Gefährdungslage insbesondere auf die Risikobewertung des Robert Koch-Institutes (RKI) stützen, das nach § 4 IfSG
a.F.* als nationale Behörde zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen u.a. zur Auswertung und Veröffentlichung von Daten zum Infektionsgeschehen berufen ist.
Der Antragsteller hat nichts vorgetragen, was die Bewertung des RKI nach der maßgebenden ex-ante-Sicht erschüttern könnte. Dafür ist auch nichts ersichtlich.
Die angegriffenen Ge- und Verbote waren für die Zielerreichung geeignet und auch erforderlich. Es ist nicht ersichtlich, dass dem Verordnungsgeber eine gleich wirksame, weniger in die Grundrechte der Betroffenen eingreifende Maßnahme zur Verfügung stand. Angesichts der seinerzeit fehlenden Erfahrungen mit dem SARS-CoV-2-Virus hatte er einen tatsächlichen Einschätzungsspielraum, der sich darauf bezog, die Wirkung der von ihm gewählten Maßnahmen im Vergleich zu anderen, weniger belastenden Maßnahmen zu prognostizieren. Dass er diesen Spielraum überschritten habe, hat das Oberverwaltungsgericht ohne Rechtsfehler verneint. Die Prognose des Verordnungsgebers war ausgehend von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz plausibel. Hinsichtlich der Kontaktbeschränkungen war ein gleich wirksames, aber weniger belastendes Mittel nicht ersichtlich.
In Bezug auf gastronomische Einrichtungen hat das Gericht festgestellt, dass aufgrund der besonderen Nähe und fehlender Ausweichmöglichkeiten von Gästen und Personal ein besonders hohes Ansteckungsrisiko für eine Tröpfcheninfektion bestand. Zudem habe gerade in Szene-Vierteln die Gefahr von größeren Menschenansammlungen bestanden. Danach war plausibel, dass selbst ein anspruchsvolles Hygienekonzept nicht so wirksam gewesen wäre wie die Schließung der Gastronomiebetriebe. In Bezug auf Golfplätze hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass es auch dort Bereiche gebe, die von einer Vielzahl von Spielern zusammen aufgesucht würden und wo damit die Gefahr einer Ansteckung bestehe.
Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht ohne Verstoß gegen Bundesrecht angenommen, dass der mit den Maßnahmen verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung weder bezogen auf die einzelnen Maßnahmen noch insgesamt außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stehen. Dass Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum sowie die Schließung von gastronomischen Einrichtungen verhältnismäßig im engeren Sinne sein können, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Regelungen in § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 7 IfSG i. d. F. des Gesetzes vom 22. April 2021 („Bundesnotbremse„) geklärt. Für die hier in Rede stehenden Schutzmaßnahmen aus der Anfangsphase der COVID-19-Pandemie („1. Welle„) ergibt sich nichts Anderes.
Quelle: Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung vom 22. November 2022