Die Wahlrechtskommission des Bundestages hat sich am Donnerstag mit dem Zuschnitt von Wahlkreisen und der Transparenz der Arbeit der Wahlkreiskommission, aber auch mit Fragen der Durchführung von Wahlen befasst. Für den Zuschnitt von Wahlkreisen gibt das Bundeswahlgesetz vor, dass Ländergrenzen einzuhalten sind, dass die Zahl der Wahlkreise in den einzelnen Ländern deren Bevölkerungsanteil so weit wie möglich entsprechen muss, dass der Wahlkreis ein zusammenhängendes Gebiet bilden soll, dass die Grenzen der Gemeinden, Kreise und kreisfreien Städte nach Möglichkeit eingehalten werden sollen und dass die Bevölkerungszahl eines Wahlkreises von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise um nicht mehr als 15 Prozent nach oben oder unten abweicht. Beträgt die Abweichung mehr als 25 Prozent, müssen die Wahlkreisgrenzen neu gezogen werden. Als Empfehlung gilt der Vorschlag der Europäischen Kommission für Demokratie und Recht (Venedig-Kommission), eine maximale Abweichung von zehn Prozent einzuhalten und Abweichungen von mehr als 15 Prozent nicht zuzulassen.


SPD-Obmann Sebastian Hartmann sagte, ein sogenanntes Gerrymandering, die Manipulation von Wahlkreisgrenzen um politischer Vorteile willen, sei in dieser Form nicht möglich. Er verwies auf eine Stellungnahme des Sachverständigen Friedrich Pukelsheim, wonach mehr als die Hälfte der Wahlkreise weniger als fünf Prozent von der durchschnittlichen Wahlkreisgröße abwichen, mehr als vier Fünftel hielten die Zehn-Prozent-Schranke ein. Lediglich drei Wahlkreise wichen über 15 Prozent ab, blieben aber unter 17 Prozent. Den Wahlkreiszuschnitt anzugehen, hielt Hartmann somit für ein „lösbares Problem“.


Auch Ansgar Heveling, Obmann der Unionsfraktion, sagte, mit den Toleranzgrenzen habe man am wenigsten Probleme. Gerrymandering sollte seiner Meinung nach ausgeschlossen werden, die Wahlkreiskommission, die Grenzen bei Bedarf neu festlegt, sollte weiterhin eine nichtpolitische Institution bleiben. Mehr Transparenz im Prozedere würde auch den politischen Druck auf die Kommission erhöhen. Allerdings könnte stärker dokumentiert werden, warum Abwägungsentscheidungen so und nicht anders getroffen wurden. Durch eine stärkere Definition von Parametern könnte Transparenz erzeugt werden, so Heveling. Mit Blick auf die Überlegung, einen Flächenfaktor für besonders große Flächenwahlkreise einzuführen meinte der Abgeordnete, es könnte schwierig werden, diesen mit Wahlrechtsgrundsätzen in Einklang zu bringen. Ein Flächenfaktor wäre ein „verfassungsrechtlich fragwürdiges Element“.


Stephan Thomae (FDP) aus dem bayerischen Flächenwahlkreis Oberallgäu relativierte die Notwendigkeit eines Flächenfaktors. Die Fläche habe eine abnehmende Bedeutung, die Gesellschaft werde mobiler, kommuniziert werde über Videokonferenzen. Entscheidend sei die Zahl der Wahlberechtigten pro Wahlkreis. Die Sachverständige Silke Ruth Laskowski konnte sich hingegen einen Flächenfaktor vorstellen, um die Erreichbarkeit und Bürgernähe von Abgeordneten zu sichern. Sie regte zudem an, im Bundeswahlgesetz klarzustellen, dass Maßstab für den Wahlkreiszuschnitt nicht die Wohnbevölkerung, sondern die Zahl der Wahlberechtigten sei. Aus Sicht der Sachverständigen Jelena von Achenbach liegt der Wahlkreiszuschnitt in der Gestaltungsmacht des Gesetzgebers. Statt eines Flächenfaktors könnte auch an eine bessere Mittelausstattung gedacht werden, so die Sachverständige. Der Sachverständige Robert Vehrkamp plädierte dafür, die „administrative Konformität“, also das Einhalten von Gebietskörperschaftsgrenzen, zu einem eigenen Kriterium zu machen. Es gebe Gründe, dafür auch von perfekten Wahlkreisgrößen abzuweichen. Die Sachverständige Stefanie Schmahl fand, dass eine Abweichung von 25 Prozent zwischen den Wahlkreisen doch erheblich sei, sie erlaube Unterschiede von bis zu 120.000 Einwohnern. Auch aus ihrer Sicht sollte die Arbeit der Wahlkreiskommission nicht zwingend öffentlich sein.


Zuvor hatte sich die Kommission mit dem Wahlprüfungsverfahren befasst. Der Ko-Kommissionsvorsitzende Johannes Fechner (SPD) stellte angesichts der Erfahrungen mit der Bundestagswahl in Berlin die Frage nach präziseren Vorschriften zur Erstellung von Niederschriften in den Wahllokalen, nach Einsichtsrechten von Bundes- und Landeswahlleitung in die Niederschriften und danach, ob für Einsprüche direkt das Bundesverfassungsgericht zuständig sein wollte. Konstantin Kuhle (FDP) fragte, ob das Wahlprüfungsverfahren stärker vom Parlament als erster Instanz abgekoppelt werden sollte. Albrecht Glaser (AfD) regte an, die Wahlprüfung „aus dem Schoß“ der Politik zu holen und einem ehrenamtlichen Juristengremium anzuvertrauen.


Der Sachverständige Rudolf Mellinghoff sagte, bei Wahlfehlern müsse zunächst der Sachverhalt ermittelt werden. Damit sollten nicht Ehrenamtliche, sondern richterliche Funktionsträger betraut werden. Die Sachverständigen Bernd Grzeszick und Stefanie Schmahl hielten es für sinnvoll, am zweistufigen Wahlprüfungsverfahren festzuhalten. Statt unabhängiger Richter könnte sich Grzeszick auch eine Expertenkommission vorstellen, wobei die Tatsachen vorab aufbereitet werden müssten. Für den Sachverständigen Florian Meinel wäre es problematisch, dem Bundesverfassungsgericht die Rolle einer Tatsacheninstanz zuzuschieben. Um Pannen wie in Berlin zu vermeiden und die Wahlbeteiligung zu steigern, regte Robert Vehrkamp an, allen Wählern die Briefwahlunterlagen zukommen zu lassen, eine Frühwahl unabhängig vom Wahltag zu ermöglichen und Wahllokale, nicht jedoch die Stimmabgabe selbst, zu digitalisieren. Schmahl empfahl ebenfalls mit Blick auf die Berlin-Wahl, über ein Verbot paralleler anderer Großveranstaltungen nachzudenken.


Der Bundestag hat die aus 13 Abgeordneten und 13 Sachverständigen bestehende Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit am 16. März 2022 eingesetzt (20/1023). Sie soll ihren Abschlussbericht bis 30. Juni 2023 vorlegen.

Quelle: Deutscher Bundestag, HiB Nr. 650 vom 11. November 2022

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